Mittwoch, 1. April 2015

Das Gewitter



Tiefschwarze Nacht um mich herum. Kein Stern spiegelt sich auf dem regennassen Deck, kein Mond wirft sein fahles Licht durch die Taue. Es ist ein fast unwirkliches Gefühl zu dieser Stunde am Ruder zu stehen. Nichts als undurchdringliche Dunkelheit und das Geräusch der sich am Schiffsrumpf brechenden Wellen. Ich genieße das Gefühl zum ersten Mal in meinem Leben ein so großes Schiff zu steuern. Schwer liegt das Steuerrad in meiner Hand. Die gleichmäßigen Bewegungen des Schiffs lassen meine Gedanken abschweifen.

Plötzlich ist die Sørlandet taghell erleuchtet, ich kann jedes Detail des Dreimasters erkennen. Genauso schnell jedoch versinkt die Nordsee wieder in der Dunkelheit. Ein Schreck fährt mir in die Glieder. Vor uns baut sich ein Sturm auf. In immer kürzeren Abständen ruft mir der Steuermann Kurskorrekturen zu. Wir müssen versuchen, den Sturm zu umfahren, geraten wir hinein, ist das Schiff in Gefahr. Je näher wir ihm kommen, desto mehr Blitze zucken über den Himmel. Einen Moment lang bin ich von dem Licht geblendet, dann jedoch müssen sich meine Augen erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen.

Die Arbeit am Ruder wird durch den aufkommenden Wind immer schwieriger. Mehr und mehr Kraft muss ich aufwenden um den Kurs halten zu können. Meine Arme werden schwer, ich merke jede Umdrehung. Fielen zunächst nur vereinzelt Tropfen vom Himmel, so fängt es jetzt stärker an zu regnen. Binnen kurzem ist alles nass und kalt. Hält meine Jacke mich noch trocken, so klebt mir die Hose vor Nässe an den Beinen.

Die Crew hat so großes Vertrauen in das Schiff und ihre Fähigkeiten, dass sie uns, die Trainees (Crewmitglieder auf Zeit), auch während des heraufziehenden Sturms auf unseren Posten belässt. Nach einer Stunde werde ich abgelöst. Doch bevor ich zur nächsten Station meiner Wache wechseln kann, fängt mich die Crew ab.

Die Segel müssen neu ausgerichtet werden. Es ist so dunkel, dass ich kaum sehen kann, wohin ich gehe. Überall liegt Tauwerk auf dem Boden. Die nassen Segel sind schwer, wir müssen uns mit unserem ganzen Gewicht in die Taue hängen, um sie zu bewegen. Sind wir unvorsichtig, so trifft uns ein Schwall des Wassers, das sich im Tuch gesammelt hat. Ich bin froh über jede noch so kurze Pause. Die Crew leuchtet hinauf in die Segel und guckt, was als nächstes getan werden muss. Die Kommandos fliegen auf Norwegisch hin und her. Ich kann nicht verstehen, worüber gesprochen wird. Und so laufe ich treppauf, treppab hinter den anderen her. Trotzdem fühle ich mich nicht überflüssig. Hier wird im Moment jede Hand gebraucht. Da sind sprachliche Unterschiede oder fehlende Kenntnisse kein Problem. Jemand gibt mir ein Tau in die Hand und ich ziehe daran. Und schon gehöre ich dazu.

Jedes Segel erscheint schwerer als das vorherige, jeder Weg länger, jede Stufe höher. Der Sturm fordert seinen Tribut. Die Arbeit ist hart und vor allem ungewohnt. Ich spüre jeden Muskel in den Armen und Beinen. Meine Hände brennen, meine Schultern sind verspannt und mein Herz rast nicht nur vor Anstrengung. So müde ich mittlerweile auch bin, so aufregend ist das Ganze auch. Ich genieße die Herausforderung und fühle mich so lebendig wie schon seit langem nicht mehr.

Auf dem neuen Kurs umfahren wir den Sturm. Das Donnergrollen wird immer schwächer und ist nur noch von weitem zu hören. Überraschend komme ich zu der Erkenntnis, dass die Arbeit mich von meiner Angst vor Gewitter abgelenkt hat. Aber auch die Crew hat mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben.

Nach und nach kommen die anderen Trainees für ihre Schicht an Deck. Für mich geht eine lange und anstrengende Nacht zu Ende. Erschöpft aber glücklich mache ich mich auf den Weg zu meiner Koje. Ich habe das Gefühl, heute wirklich etwas geleistet zu haben. Bevor ich die Treppe im Niedergang hinunter steige, werfe ich einen letzten Blick ich über meine Schulter.

Auf der Steuerbordseite leuchtet der erste Stern am Himmel, ein tröstlicher Anblick nach der Regendecke, die über uns hinweg gezogen ist. Als der Stern hinter den Wolken verschwindet, steht auf einmal auf der Backbordseite der Mond ganz klar am Himmel. Die erste Möwe schreit und nach und nach fallen weitere ein. Als hätten sie den Tag herbei gerufen, wird es langsam heller.

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