Tiefschwarze
Nacht um mich herum. Kein Stern spiegelt sich auf dem regennassen Deck, kein
Mond wirft sein fahles Licht durch die Taue. Es ist ein fast unwirkliches
Gefühl zu dieser Stunde am Ruder zu stehen. Nichts als undurchdringliche Dunkelheit
und das Geräusch der sich am Schiffsrumpf brechenden Wellen. Ich genieße das Gefühl
zum ersten Mal in meinem Leben ein so großes Schiff zu steuern. Schwer liegt
das Steuerrad in meiner Hand. Die gleichmäßigen Bewegungen des Schiffs lassen
meine Gedanken abschweifen.
Plötzlich
ist die Sørlandet taghell erleuchtet, ich kann jedes Detail des Dreimasters
erkennen. Genauso schnell jedoch versinkt die Nordsee wieder in der Dunkelheit.
Ein Schreck fährt mir in die Glieder. Vor uns baut sich ein Sturm auf. In immer
kürzeren Abständen ruft mir der Steuermann Kurskorrekturen zu. Wir müssen
versuchen, den Sturm zu umfahren, geraten wir hinein, ist das Schiff in Gefahr.
Je näher wir ihm kommen, desto mehr Blitze zucken über den Himmel. Einen Moment
lang bin ich von dem Licht geblendet, dann jedoch müssen sich meine Augen erst
wieder an die Dunkelheit gewöhnen.
Die
Arbeit am Ruder wird durch den aufkommenden Wind immer schwieriger. Mehr und
mehr Kraft muss ich aufwenden um den Kurs halten zu können. Meine Arme werden
schwer, ich merke jede Umdrehung. Fielen zunächst nur vereinzelt Tropfen vom
Himmel, so fängt es jetzt stärker an zu regnen. Binnen kurzem ist alles nass
und kalt. Hält meine Jacke mich noch trocken, so klebt mir die Hose vor Nässe
an den Beinen.
Die
Crew hat so großes Vertrauen in das Schiff und ihre Fähigkeiten, dass sie uns,
die Trainees (Crewmitglieder auf Zeit), auch während des heraufziehenden Sturms
auf unseren Posten belässt. Nach
einer Stunde werde ich abgelöst. Doch bevor ich zur nächsten Station meiner Wache
wechseln kann, fängt mich die Crew ab.
Die
Segel müssen neu ausgerichtet werden. Es ist so dunkel, dass ich kaum sehen
kann, wohin ich gehe. Überall liegt Tauwerk auf dem Boden. Die nassen Segel
sind schwer, wir müssen uns mit unserem ganzen Gewicht in die Taue hängen, um
sie zu bewegen. Sind wir unvorsichtig, so trifft uns ein Schwall des Wassers,
das sich im Tuch gesammelt hat. Ich bin froh über jede noch so kurze Pause. Die
Crew leuchtet hinauf in die Segel und guckt, was als nächstes getan werden
muss. Die Kommandos fliegen auf Norwegisch hin und her. Ich kann nicht verstehen,
worüber gesprochen wird. Und so laufe ich treppauf, treppab hinter den anderen
her. Trotzdem fühle ich mich nicht überflüssig. Hier wird im Moment jede Hand
gebraucht. Da sind sprachliche Unterschiede oder fehlende Kenntnisse kein
Problem. Jemand gibt mir ein Tau in die Hand und ich ziehe daran. Und schon gehöre
ich dazu.
Jedes
Segel erscheint schwerer als das vorherige, jeder Weg länger, jede Stufe höher.
Der Sturm fordert seinen Tribut. Die Arbeit ist hart und vor allem ungewohnt.
Ich spüre jeden Muskel in den Armen und Beinen. Meine Hände brennen, meine
Schultern sind verspannt und mein Herz rast nicht nur vor Anstrengung. So müde
ich mittlerweile auch bin, so aufregend ist das Ganze auch. Ich genieße die
Herausforderung und fühle mich so lebendig wie schon seit langem nicht mehr.
Auf
dem neuen Kurs umfahren wir den Sturm. Das Donnergrollen wird immer schwächer
und ist nur noch von weitem zu hören. Überraschend komme ich zu der Erkenntnis,
dass die Arbeit mich von meiner Angst vor Gewitter abgelenkt hat. Aber auch die
Crew hat mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben.
Nach
und nach kommen die anderen Trainees für ihre Schicht an Deck. Für mich geht eine
lange und anstrengende Nacht zu Ende. Erschöpft aber glücklich mache ich mich
auf den Weg zu meiner Koje. Ich habe das Gefühl, heute wirklich etwas geleistet
zu haben. Bevor ich die Treppe im Niedergang hinunter steige, werfe ich einen
letzten Blick ich über meine Schulter.
Auf
der Steuerbordseite leuchtet der erste Stern am Himmel, ein tröstlicher Anblick
nach der Regendecke, die über uns hinweg gezogen ist. Als der Stern hinter den
Wolken verschwindet, steht auf einmal auf der Backbordseite der Mond ganz klar
am Himmel. Die erste Möwe schreit und nach und nach fallen weitere ein. Als
hätten sie den Tag herbei gerufen, wird es langsam heller.
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